Die Geschichte der Lichterführung, der Tonnen und des Leuchtfeuerwesens
1. Einleitung
Die sichere Navigation auf See war seit jeher eine zentrale Voraussetzung für Handel, Fischerei und maritime Expansion. Während in der Antike natürliche Landmarken und primitive Feuerstellen als Orientierung dienten, entwickelte sich im Verlauf der Jahrhunderte ein komplexes, international koordiniertes System aus Leuchtfeuern, Tonnen und Lichtern. Dieses System bildet bis heute das Rückgrat der visuellen Schifffahrtsführung, ergänzt durch elektronische Navigationsmittel.
2. Ursprünge: Von den Küstenfeuern zur maritimen Infrastruktur
Die Anfänge des Leuchtwesens reichen bis in die Frühantike zurück. Bereits um 1500 v. Chr. sollen die Phönizier brennende Kohlenkörbe auf Klippen aufgestellt haben, um den Rückweg zu ihren Häfen zu markieren. Die Griechen übernahmen diese Praxis und errichteten im 3. Jahrhundert v. Chr. den berühmten Leuchtturm von Pharos bei Alexandria, eines der Sieben Weltwunder der Antike. Mit einer geschätzten Höhe von über 100 Metern und einem offenen Feuer auf der Spitze war er das erste großtechnische Seezeichen der Geschichte (Hecht, 1997).
Die Römer perfektionierten den Bau solcher Leuchtfeuer entlang ihrer Handelsrouten. Der Leuchtturm von Dover (Dubreton, 1952) oder der noch heute existierende Turm von Hércules in A Coruña, Spanien (erbaut im 2. Jahrhundert n. Chr.), belegen den hohen Stellenwert maritimer Infrastruktur im römischen Reich.
Nach dem Niedergang Roms verfielen viele dieser Bauwerke. Im europäischen Mittelalter übernahmen Klöster, Hafenstädte und Kaufmannsgilden die Aufgabe, primitive Leuchtfeuer zu unterhalten. Brennende Kohlekörbe auf Türmen oder Hügeln wiesen Seeleuten den Weg in heimische Häfen – zumeist saisonal betrieben und lokal organisiert.
3. Das Leuchtwesen im Zeitalter der Entdeckungen (15.–18. Jahrhundert)
Mit der Entdeckung neuer Seewege und dem aufkommenden globalen Handel im 15. und 16. Jahrhundert stieg die Bedeutung sicherer Küstenmarkierungen rapide.
In England gründete Heinrich VIII. 1514 das Trinity House, eine bis heute bestehende Institution, die für den Bau und Unterhalt von Leuchtfeuern, Tonnen und Baken zuständig ist (Trinity House, 2023). Ähnliche Organisationen entstanden in den Niederlanden (Rijkswaterstaat, 1798) und später in Frankreich (Service des Phares et Balises).
In Deutschland blieb das Leuchtwesen zunächst regional organisiert. Hansestädte wie Lübeck, Bremen und Hamburg errichteten eigene Feuerträger, um den Zugang zu ihren Häfen zu sichern. Erst mit der Etablierung zentralstaatlicher Verwaltungen im 18. Jahrhundert entstanden überregionale Strukturen. 1665 wurde auf Helgoland eines der ältesten Leuchtfeuer an der Nordsee errichtet, 1807 folgte der Leuchtturm Roter Sand als technisches Meisterwerk der Frühindustrialisierung.
4. Entstehung der Lichterführung und des Tonnenwesens (19. Jahrhundert)
Mit dem Übergang von der Segel- zur Dampfschifffahrt nahm die Schiffsdichte auf den Weltmeeren erheblich zu, wodurch auch die Zahl der Kollisionen stieg. Um Nachtfahrten sicherer zu machen, begannen mehrere Nationen, verbindliche Regeln für die Lichterführung zu erlassen.
In Großbritannien wurden 1848 die ersten Vorschriften für Positionslichter eingeführt: grünes Licht an Steuerbord, rotes an Backbord, weißes am Heck – ein System, das sich weltweit durchsetzte. Diese Prinzipien wurden später in die internationalen Kollisionsverhütungsregeln (COLREGs) aufgenommen, die 1972 durch die International Maritime Organization (IMO) kodifiziert wurden.
Parallel entwickelte sich das Tonnenwesen. Bereits im 17. Jahrhundert wurden einfache Holztonnen zur Kennzeichnung von Untiefen eingesetzt. Mit der Industrialisierung kamen Eisenbojen und ab 1850 beleuchtete Gasbojen auf, die eine sichere Markierung auch bei Nacht ermöglichten. Das 19. Jahrhundert brachte zudem die Einführung von Baken, Peilmarken und Richtfeuern, welche die visuelle Navigation erheblich präzisierten.
5. Internationalisierung und Standardisierung (20. Jahrhundert)
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts waren die Tonnen- und Leuchtsysteme weltweit uneinheitlich. Unterschiede in Farben und Formen führten regelmäßig zu Verwirrung. Nach mehreren schweren Unfällen, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg, gründeten maritime Nationen 1957 die International Association of Lighthouse Authorities (IALA), mit Sitz in Paris.
Die IALA führte ein weltweit einheitliches Bojen- und Baken-System ein, das in zwei Zonen unterteilt ist:
Region A: Europa, Afrika, Asien, Australien (rot = Steuerbord, grün = Backbord bei Hafeneinfahrt)
Region B: Amerika, Japan, Korea, Philippinen (Farben umgekehrt).
Das IALA-System standardisierte nicht nur Farbgebung, sondern auch Topzeichen, Lichtcharakteristik und Taktung (z. B. Blitz, Funkel, Gruppenblitz). Damit wurde erstmals eine globale Einheitlichkeit der optischen Navigation erreicht (IALA, 2018).
Auch das Leuchtwesen selbst wandelte sich grundlegend: Petroleum- und Gaslampen wichen elektrischen Leuchtmitteln, später automatisierten LED-Systemen. Wartungsintensive, bemannte Leuchttürme wurden zunehmend durch unbemannte, solarbetriebene Anlagen ersetzt.
In vielen Staaten, darunter Großbritannien, Norwegen und die USA, sind historische Leuchttürme inzwischen automatisiert, aber weiterhin in Betrieb – häufig ergänzt durch Radarreflektoren, AIS-Beacons und DGPS-Sender.
6. Moderne Entwicklungen: Elektronische Seezeichen und Integration in E-Navigation
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts verlagert sich der Schwerpunkt zunehmend von physischen zu elektronischen Seezeichen (eAtoN – electronic Aids to Navigation). Diese werden über AIS-Signale virtuell auf den elektronischen Seekarten (ECDIS, OpenCPN, Navionics etc.) dargestellt und können dynamisch angepasst werden – etwa bei temporären Sperrungen oder Wracks.
Dennoch bleibt das physische Tonnen- und Leuchtfeuerwesen unverzichtbar. Es bildet die redundante Sicherheitsebene für den Fall technischer Ausfälle von GPS oder elektronischen Systemen. Die IALA verfolgt daher eine Strategie der Dualität: klassische optische Navigationshilfen werden beibehalten und zugleich mit digitalen Komponenten vernetzt (IALA Vision 2030).
7. Nationale Organisation und kulturelle Bedeutung
Die Organisation des Leucht- und Tonnenwesens liegt heute in den Händen nationaler Verwaltungen:
Deutschland: Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV)
Vereinigtes Königreich: Trinity House
Frankreich: Service des Phares et Balises
USA: United States Coast Guard
Japan: Japan Coast Guard
Leuchttürme sind nicht nur technische Bauwerke, sondern auch kulturelle Symbole. Viele wurden zu Museen, Denkmälern oder touristischen Wahrzeichen umgestaltet. Der Leuchtturm als Sinnbild für Orientierung, Sicherheit und menschliche Ingenieurskunst bleibt tief in der maritimen Kultur verankert.
8. Fazit
Die Geschichte der Lichterführung, der Tonnen und des Leuchtfeuerwesens zeigt den stetigen Fortschritt der maritimen Sicherheit – von einfachen Küstenfeuern über mechanische Bojen bis hin zu global vernetzten, elektronischen Navigationssystemen.
Trotz aller Digitalisierung bleiben die Prinzipien unverändert: klare optische Orientierung, internationale Einheitlichkeit und Redundanz für den Notfall.
Das moderne Navigationssystem der IALA verkörpert heute die Synthese aus Jahrtausenden nautischer Erfahrung und modernster Technologie – ein Beweis, dass Tradition und Innovation auf See untrennbar verbunden sind.
9. Literatur und Quellen
Dubreton, J. (1952): The Pharos of Alexandria. Oxford University Press.
Hecht, S. (1997): Leuchtfeuer – Geschichte und Technik der Seezeichen. DSV-Verlag, Hamburg.
IALA (2018): IALA Maritime Buoyage System and Other Aids to Navigation. 8th Edition, Paris.
IMO (1972): Convention on the International Regulations for Preventing Collisions at Sea (COLREGs).
Trinity House (2023): History and Heritage. www.trinityhouse.co.uk
WSV (2022): Das Seezeichenwesen in Deutschland. Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Bonn.